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groß denken, Zeichnung 2009 |
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Verwandtschaft und Abgrenzung zu Extreme Programming und Design Thinking |
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Etwa 2006 entdeckte ich in Gesprächen mit dem Mathematiker Daniel Speicher, Universität die Verwandtschaft meiner Arbeitsweise mit dem Extreme Programming und hier insbesondere dessen kooperative Struktur, der Bedeutung visueller Darstellungen komplexer Strukturen und der Arbeit mit offenem Ausgang. Design Thinking geht wie Extreme Programming von der Annahme aus, dass Probleme besser gelöst werden können, „wenn Menschen unterschiedlicher Disziplinen in einem die Kreativität fördernden Umfeld zusammenarbeiten, gemeinsam eine Fragestellung entwickeln, die Bedürfnisse und Motivationen von Menschen berücksichtigen und dann Konzepte entwickeln, die mehrfach geprüft werden.“ In Deutschland federführend für Design Thinking ist das Hasso-Plattner-Institut in Potsdam. Auf seiner Website definiert es: „Design Thinker schauen durch die Brille des Nutzers auf das Problem und begeben sich dadurch in die Rolle des Anwenders.“
Im Unterschied zu beiden Verfahren gehen die Impulse in meiner künstlerischer Methodik immer von jeweils Betroffenen aus. Sie sind Ideengeber*innen und bleiben bis zum Abschluss der Projekte federführend. Fachleute begleiten die Ideenentwicklungs- und Umsetzungsprozesse, Künstler*innen gestalten insbesondere die Form der Prozesse und ihrer Dynamik.
Ute Reeh 2019 |
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781 Zeichen über Zeichnen
Ute Reehs Zeichnungen sind aktivierte Versatzstücke von Performances, bei denen sich die Künstlerin zunächst selbst (per-sonare) zum Aufzeichnungsinstrument von energetischen Konstellationen macht, die bei jeder komplexen, sozialen Interaktion als gestaltbildende Felder formiert werden. Im kommunikativen Prozess unbewusst bleibende, aber dennoch wirksame, unartikulierte Zwischenformen der Interaktion werden von ihr leiblich vergegenwärtigt und beidhändig schnell, in grosser Zahl aufgezeichnet, anschliessend dann korreliert und synformiert. Im Zueinanderfinden der Einzelzeichnungen entsteht eine performative Metazeichnung, deren kommunikatives Potential von der Performancekünstlerin weiter genutzt wird, um die untersuchten Konstellationen plastisch werden zu lassen.
Georg Mallitz 2013 |
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Videostill aus Zeichnen 2004 |
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«Nimm diese beiden Kohlekreiden, in jede Hand eine, suche auf der weißen Fläche deinen Bereich und markiere einen dir gemäßen Raum.» Das war die Anweisung, die Ute Reeh jedem einzelnen gab. Wie diese dann ihren Platz bestimmt und eingezeichnet haben, nahm eine Kamera auf, die sechs Meter über den Köpfen der Akteure angebracht war.
So simpel diese Versuchsanordnung erscheinen mag, so erstaunlich und komplex sind die entstehenden Assoziationen und Konnotationen, wenn wir erwachsene Menschen dabei beobachten, wie sie schweigend auf einem weißen Feld, dass den Bildausschnitt füllt, sehr konzentriert nach etwas suchen und dann sehr bestimmt auf dem Boden schwarze Linien um sich herum ziehen.
Aber Ute Reeh hat es nicht dabei belassen, sondern - ihren Wurzeln als Performerin und ihrer Lust an digitalen Simulationen folgend - per Computer Verfremdungen vorgenommen. Die einzelnen Personen hat sie vervielfältigt und mit anderen zu Gruppen formiert, die sich reihend oder überlagernd in Vorwärts- und Rückwärtsbewegungen zu eigentümlichen Konstellationen ordnen, als ob sie aufeinander reagierten oder sich im Gegenteil ganz bewusst ignorierten. Die Zeichengeräusche der Kreiden auf dem Papier sind das einzig Hörbare und begleiten die eigentlich unerklärlichen Vorgänge wie die Tonspur zu geheimnisvoll-rituell, aber auch skurril anmutenden Handlungen.
Was beim Zeichnen entsteht und in der filmischen Handlung «Form Finden» auch wieder verschwindet sind Choreografien von Figuren, die sich überlagern, begegnen, kreuzen und die Linien hinterlassen. Die Zielgerichtetheit und deren für Außenstehende spürbare Authentizität ist Ausgangspunkt für eine ästhetische Spannung, vergleichbar mit dem Reiz einer Sprache, deren innere Logik im Raum steht, die sich einer eindeutigen Entschlüsselung jedoch entzieht.
Text: Kay von Keitz 2006 |
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Männer und Frauen 2005/2006 |
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Projekt Zeichnen
Zeichnen ist eine Urtechnik der Kommunikation und in jeder Hinsicht elementar, vom einfachen Zeichensetzen und -lesen bis hin zum Zeichnen als Methode künstlerischen Erfassens. Zeichnen ist ein Akt der Klärung und Bewusstwerdung. Dieses Eigentliche des Zeichnens, als zweidimensionale Gestaltfindung jenseits eines ästhetischen Statements, verbindet Ute Reeh mit der körperlichen Erfahrung der Performance. Ute Reeh hat sich von jeher mit Einflussmöglichkeiten von Kunst befasst, wobei das Moment des Körperlichen im Sinne von direkter Verständigung stets eine wichtige Rolle gespielt hat. Bei Zeichnen im Raum ist jedoch nicht sie selbst die Protagonistin.
Bei diesem Projekt geht es um die Zeichnungen von Menschen, die sich mit ganz konkreten Fragestellungen dieser von ihr entwickelten Entscheidungsfindungsmethode anvertrauen. Die Linien, die durch gegenstandsloses, rein intuitives, beidhändiges Zeichnen auf einer großen Papierfläche, die auf dem Boden liegt, entstehen, bezeichnen relevante Bereiche, Lebensbezüge, Verflechtungen. Reeh analysiert die Zeichnung auf einer formalen Ebene - mit dem entsprechend geschulten Blick der Künstlerin.
Das Faszinierende an ihrer Konstruktion ist die Intervention der Kunst auf einer völlig unerwarteten Ebene: Das Prinzip Kunst wird zum Steuerungselement mitten im „normalen" Leben. Statt künstlerische Konzentrations-, Kontemplations-, Irritations- oder Provokationsprodukte anzubieten, um die übrige Welt kulturell zu bereichern, offeriert Reeh ein anwendbares Paket bestehend aus Konzept, Methode und Haltung.
Kay von Keitz 2005 |
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