Form von Prozessen
Gedanken zu Zwischenraum
von Manuel Mir
Ute Reeh
● Startet das Projekt ohne Vorstellung konkreter Ergebnisse. Absolute Offenheit, die teilweise irritierend wirken mag, weil man sie sich abgewöhnt hat, ohne Karte und ohne Kompass in die Landschaft zu gehen. Das muss man ertragen. Beschäftigung: Prozess als Form.
● Ute Reeh hat Krefelder Stimmen (Pfarrer, Stadtplanerin, Obdachlos, Studierende, Kinder und Jugendliche in der Stadt. aber auch Bewohner*innen) eingefangen. Verschiedene Perspektiven, Vielstimmigkeit. Lautsprecher Bedeutung des Zuhörens ; Qualität. Die Ethnologin Anna Löwenhaupt Tsing hat geschrieben: „Zuhören ist der Ausgangspunkt jeder politische Arbeit… Zuhören ist eine Form von bewusster Aufmerksamkeit und Zuhören im politischen Sinne bedeutet, die Anzeichen von noch nicht artikulierten Themen aufzuspüren“. Ute: „Partizipativ arbeiten heißt in Demut zu arbeiten“. Eine ungewöhnliche Rolle des Künstlers als Sender / Empfänger.
● Zeichnungen bei den Gesprächen. Das ist nicht das Kritzeln beim telefonieren, was manche kennen, sondern es ist eine direkte Reaktion der Hand der Künstlerin auf die Worte ihres Gegenübers. Teile der „Krefelder Zeichnungen“ in zweidimensionaler Form. Puzzle. Weiche, amorphe Formen. Es ist keine Illustration des Besagten, keine Verbildlichung einer sprachlichen Information, sondern eine Übersetzung in einem anderen Medium, die, wie jede Übersetzung eine eigene Sprache hat.
Die Zeichnung ist eine Möglichkeit der Analyse, des Verständnisses und der Kommunikation. In ihrer reduzierten, verdichteten Form, ermöglicht sie das Verlassen der eigenen sozial-politischen Blase und die Öffnung eines neuen Feldes des Austauschs.
Durch die Zeichnungen von Ute öffnet sich das Gespräch und bekommt eine neue, eine andere Tiefe: Nicht nur die verbale Sprache, sondern eine visuelle Sprache trägt zur Kommunikation bei und verbindet letztendlich zwei Menschen. Sie konkretisieren das Abstrakte ohne Komplexitätsreduktion vorzunehmen. Vater theoretischer Physiker. Beschäftigte sich mit komplexe Dingen mit für das Kind unverständlichen Begrifflichkeiten, die aber greifbar wurden, wenn sie in einer Formel oder in einem Diagramm einen Körper bekommen. Das hat auch ein ästhetischer Wert – man spricht nicht umsonst von mehr oder weniger „elegante“ Lösungen bei mathematischen Formeln. Nicht nur Theolog*innen und Künstler*innen beschäftigen sich mit der Materialisierung des Unsichtbaren, auch die Wissenschaftler*innen. Verbindung zwischen Abstraktion und greifbaren Phänomen.
● Die Arbeit mit „Bildern“ ist auch für weitere sehr komplexe und eher abstrakte Disziplinen wie die der Sozialwissenschaft oder der Psychologie relevant. Abstrakte Formeln bekommen eine Form. Abstrakte Prozesse werden konkret. Soziale Fragestellungen können auch sehr abstrakt sein (Wie wollen wir leben? was braucht eine gute Gemeinschaft?). Während Sie 12 Sitzungen bei klassischer Psychotherapie brauchen, um eine Einsicht oder vielleicht sogar eine Erkenntnis zu bekommen, sind Sie nach einer systemischen Aufstellung in 2 Stunden mit dem Thema durch. Plump. Bedeutung der Visualisierung für die Kommunikation UND für die Erkenntnis. Der Körper, via seine Sinne, „versteht“ eine Nachricht, eine Situation, ein Zusammenhang viel besser als nur das Hirn. Wir haben nur vergessen, den Körper in dieser Funktion zu aktivieren.
● Die Zeichnungen werden dann in Formen übersetzt. Formen auf dem Boden gelegt, um, eine Art Ausgangsbild zu schaffen. Fotos. Es wirkt wie Theater, wie Tanz oder wie Therapie. Spiel, ernstes Spiel. freies Spiel wie bei Kindern – Kein Anlass, keine Spielregel. jeder kommt mit seinen Geschichten und seinen Hintergründen und agiert konzentriert auf einem gemeinsamen Feld, in der Interaktion oder ohne Interaktion. Alles ist möglich, alles ist in Ordnung; es gibt keine Notwendigkeit nach einem Ergebnis, denn dies ist Kunst. Und Kunst ist immer ein Modell, mal mehr, mal weniger konkret, um Dinge zu erproben, die wir in der Nicht-Kunst nicht erproben dürfen, können oder wollen.
● Lässt Kinder kneten mit der Frage „was wollt ihr?“, „Was ist möglich?“. Kinder kneten. Ute nimmt alle Formen sehr ernst. Es entstehen auch Skizzen, dreidimensional diesmal. Da auch, geht es um Austausch und um die Formulierung von Dinge, die sprachlich Es bedarf eine eigene Sprache; das ist der Zwischenraum, wovon der Titel des Projektes handelt.
● Die Menschen an einem Tisch bringen. Gemeinsam Ziele definieren. Die Fortsetzung des Prozesses liegt bei den Verantwortlichen (Politik und alle Akteure der Zivilgesellschaft). Die Künstlerin hat ihre Arbeit als Geburtshelferin, als Wortgeberin und als Visualisierungsagentin getan. Von ihr kommt keine fertige Lösung, kein 5-jahres-Plan und keine Heilung. Es ist nicht ihr Job; dafür gibt es Therapeutinnen und Theologinnen. Sie hat das Nicht-Gehörte und Nicht-gesehen hörbar und sichtbar gemacht. Sie hat Dinge in Form gebracht. Nun sind wir dran, diese Formen in gesellschaftlichen Impulsen zu konkretisieren. Sie ergänzt, ihre Aufgabe in Realisierungsprozessen ist relevant. Ihre Sprache ist die Form. Sie hält den Prozess immer wieder dort an, wo Form die Aufmerksamkeit aller braucht.